Abschied von Europa, gemischte Gefühle

Die letzten Tage im Camp sind gezählt, das Expeditionsmobil ist bereit und ich hab all meine Sachen erledigt. Die Abfahrt steht an und es fällt doch etwas schwerer als gedacht. Die letzten Wochen in Portugal haben mich etwas von meiner Aversion über die Zustände in Europa runter fahren lassen. Ich will es nicht vertiefen aber ich hab das Gefühl nur von kommerzorientierten Lemmingen umgeben zu sein. Doch wer der Herde hinterher rennt frisst die Scheiße, nicht das Gras, also andere Richtung. Aber darauf habe ich ja nun lange genug erfolgreich hin gearbeitet.

Ich hab die letzten Wochen nicht nur meinen Wohn(t)raum fertig gestellt, sondern mich auch innerlich darauf eingestellt ne Weile nicht in der üblichen Kompfortzone zu gastieren. Auch schon in Deutschland hab ich Orte besucht die mir in der Vergangenheit was bedeuteten und Dinge mit dem selben Hintergrund getan. (alten Stützpunkt und ein Festival besucht, Stadtrundfahrt in Berlin und Dresden, etc.) nun fühle ich mich auch in Portugal heimisch und habe hier die gleiche Agenda.

Ich erfreue mich am kernigen Sound meines Bobbers der hier auf mich wartete. Jeden Tag ein anderes Ziel zur Mittagspause und immer mit einem fetten Grinsen wieder zurück ans Werk.

So kam es auch, dass ich am Strand Boca de Rio landete und es mir schlichtweg die Sprache verschlug bei dieser Aussicht. Wow… und ich meine nicht das Meer.

Ich bin nicht der Typ, der wild auf bildhübsche fremde Frauen zugeht und sie einfach anquatscht. Doch gerade die geplanten Umstände meiner Abreise ließen mich nicht zögern, da ich nix zu verlieren hatte. Völlig entspannt unterhielt ich mich dann mit ihr und wir waren uns grün. Sie ist ein Engel und wir hatten eine tolle Zeit. Um es abzukürzen es war die schwerste Entscheidung doch nicht in letzter Minute wegen ihr meine Pläne zu kippen. Wir beide wussten von Anfang an auf was wir uns einlassen. Ich bereue nix und vielleicht sieht man sich doch unverhofft wieder.

Etwas romantisch geht es nun auch mit Sonnenuntergängen weiter, ja andächtige Momente und nur von dem kleinen Kläffer in die Realität zurück geholt.

Manchmal war es auch einfach der Mond und die Weite dahinter die einen zum Grübeln brachten. Es gibt noch so viel zu entdecken alleine auf diesem Planeten.

Natürlich war ich auch mit der WALKÜRE unterwegs, was immer Aufsehen erregte. Kann echt behaupten Stolz auf meine Arbeit zu sein und das vorhin angesprochene fette Grinsen beim Moped legt sich auch hinterm Steuer des 608 auf mein Gesicht.

Das letzte romantische Bild dann irgendwie mit dem einzig wahren Sonnenuntergang. Kann nur an der Westküste gelten mit nichts als Ozean dahinter. Und wieder das Gefühl von Freiheit und irgendwie alles richtig zu machen. Das Foto ist nicht gestellt, Atlas tobte in den Büschen herum und kam genau zum richtigen Zeitpunkt um mir Gesellschaft zu leisten.

Aber es wird Zeit… der Herbst naht und ich möchte los, unterwegs in den Süden noch etwas Sonne genießen. Das Wetter schlägt bald um und noch einen Winter in Portugal hab ich abgeschworen. Der Regen muss bald kommen. Die Feigen werden hier auch schon dörr am Baum. Von den einst saftigen Dingern sind schmackhafte konzentrierte Versionen geblieben.

Kulinarisch gibt es keinen Mangel an erlebten Erinnerungen. Lustiger Weise landeten wir (bei einem Date mit dem „Engel“) beim Metzger Walter, einer Institution in meiner Gegend. Sie als gebürtige Portugiesin sollte mir eigentlich landestypische Lokalitäten zeigen, doch irgendwie kam es, dass Brezn mit Weißwurscht plus echtem Händlmaier Senf und etwas Bier die Kehlen runter rutschten. Völkerverständigung und bayrische Tradition von einem Preussen erklärt…

Meine Futterquelle beim PingoDoce hatte dann die portugiesische Küche mit Bacalau, Sandwiches, Suppen und frittiertem wie üblich zu bieten. Diesen Lebensstil werde ich wohl auch schmerzlich vermissen.

Doch als aller letztes und schon in Spanien kam mir noch ein Gedanke. Ich werde ne ganze Weile kein gutes deutsches Brot haben. Also doch noch nen Stop bei Aldi und den Klumpen Sonnenblumenbrot noch warm aus dem Ofen mit Butter genießen. Stilecht mit der Machete geschnitten, da kein rankommen an meine anderen Küchenutensilien war.

Warum?… kein Platz im Heck! Das Moped fuhr die 400km von Portugal bis zum Hafen aufgrund gewünschter geringer Aufmerksamkeit der Ordnungsmacht wegen lieber drinnen mit. Muss ja nicht zusätzlich noch um eine Prüfung meiner Papiere betteln… Es ging alles gut und schlafen konnte ich dank der Verbindung zur Kabine und dem Bett direkt dahinter.

Mein oranges geliebtes Motorrad wurde übrigens nicht verkauft und bleibt bis zur Rückkehr oder nem Plan B bei meinem Kumpel in Portugal. Gut weggestellt aber doch etwas mehr Ballast in der Heimat. Im 608 war dafür echt kein Platz mehr und was soll ich mit dem Ding in Afrika?

In Portugal umringt von weiteren Hippie Bussen und alten Autos fiel mein Reisemobil kaum auf. Doch hier im etwas moderneren Spanien (Huelva, Sevilla, Jerez/Cadiz) war ich der bunte Hund und alles glotzte. Klar bekam ich auch einige Daumen zugestreckt, doch meist verwirrte Blicke. Understatement nicht möglich, also volles Rohr zeigen was man ist und sich nicht um Konventionen scheren. Parken bitte zwischen den weißen Streifen? Regeln und Ordnung, nicht mein Ding, Parkplatzmarkierungen dann schon eine Aufforderung zur Rebellion… der trotzige Kerl.

Ja, ich musste doch nochmal zum Baumarkt, aber es war wenigstens erfolgreich. Ich berichte demnächst darüber, hab endlich doch noch einen kleinen Kompressor gefunden. Jetzt bin ich beruhigt und super ausgestattet, auch für’s Spielen im Sand.

Bei der ersten kleinen Berührung mit diesem „Element“ aber nicht nötig. Sieht schlimmer aus aber der Asphalt ist nahe. Die Düne bei Tarifa war dann auch das einzige Highlight auf meiner Überführungsfahrt per Autovia durch Spanien. In Portugal hab ich sogar die Autobahn genommen ohne mich um die Mautkameras zu scheren. Huelva und Sevilla umschifft und nur in Jerez am Baumarkt gestoppt. Einmal Schlafen war vor dem Boot trotzdem geplant. Die letzte Nacht in Europa am Strand der Kite-Surfer… und Morgen dann auf ins Abenteuer rüber auf den anderen Kontinent. Mit gemischten Gefühlen wie man so sagt. Aufgeregt und voller Vorfreude, doch nichts im Leben ist ohne Kompromisse und man kann nie alles gleichzeitig erleben. Freiheit aber ist die Wahl zu haben, ich habe meine getroffen, mal sehen für wie lange.

8 Gedanken zu “Abschied von Europa, gemischte Gefühle

  1. ossijens schreibt:

    Wie immer sehr nett zu lesen. Und die Frage, die ich mir schon eine Weile gestellt habe (was ist aus deiner amerikanischen Begleitung geworden?), ist mit deiner Schilderung des Engels ja eigentlich auch beantwortet. 🙂
    Ich wünsche dir eine gute Fahrt.

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  2. ritschikuhn@yahoo.de schreibt:

    Viel Glück, eine tolle Reise und Zeit. Dein Reiseblog ist echt der Beste und ich freu mich über jeden neuen Beitrag. Versorg mich weiter 🙂

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  3. Alex schreibt:

    Meine Bekanntschaft Norddeutschland-Berlin-Asunción-Rio (Lebensmittelpunkte der jeweiligen Lebenszeitabschnitte) liest nach dem zeitnahen Erwerb eines Brasil „T2“ nun auch fleißig mit. Wer weiß, vielleicht fixt du die ja auch noch für eine Südamerika Tour on Weels an. Gute Reise, komm heil zurück, irgendwann.

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